Geschichte des Steppengartens
Die Fläche im Großen Tiergarten, die wir heute als Steppengarten kennen, hatte Jahrhunderte zuvor die Atmosphäre dichten Eichenwaldes. Vor 65 Jahren war davon nur eine Wüste übrig geblieben, aus der Willy Alverdes in seiner Funktion als Gartendirektor mit seinen Revier-Gärtnern diesen lichten Sondergarten entwickelte.
Vorgeschichte
Der kurfürstliche Jagdgrund, jahrhundertelang dichter Wald vor den Toren der Hohenzollern-Residenz Berlin, bekam erst durch Georg Wenzelslaus von Knobelsdorff, dem Sur-Intendanten der Königlichen Schlösser und Gärten ab 1742 seine barocke Struktur durch Allen, sternförmige Wegekreuzungen, regelmäßige Schmuckpartien und Wasseranlagen. So kann man die erste, parkartige Verfeinerung des östlichen Tiergartens, nicht weit vom später errichteten Brandenburger Tor entfernt, auf die Zeit um 1757 datieren. In diesem Jahr entstand das Venusbassin in der noch heute vorhandenen Lage als ein gartenarchitektonischer Höhepunkt des Tiergartens.
Das schmale, längliche Bassin war zu dieser Zeit umgeben von dem dichten Baumbestand, den auch noch Peter Josef Lenné 1832 vorfand, als er vom König beauftragt wurde, auf sparsame Weise eine Umgestaltung des Großen Tiergartens zu entwerfen. Seine Aufgabe war es von 1833 bis 1838, dem Tiergarten eine neue, dem Geschmack der Zeit und der besseren Nutzung entsprechende Form zu geben. So wurde 1837 auch der Bereich zwischen Venusbassin und Brandenburger Tor verändert. Jedoch war es ihm nicht möglich, gegen die Vorliebe zum Wald und gegen die Sparsamkeit des Königs, den Bestand in großem Stil aufzulockern. So blieb das Venusbassin von dichtem Wald umschlossen, wie auch im gesamten Park weniger offene Partien entstehen konnten.
Lenné erreichte trotzdem eine Transformation des barocken Tiergartens in einen Landschaftspark unter Beibehaltung vieler regelmäßiger Partien und Achsen. Lenné ließ das Venusbassin vergrößern, aber nicht in der opulenten, barock wirkenden Ausformung seines Entwurfes von 1836, sondern in gemäßigter Form mit Aufweitungen in der Mitte und an den Enden. Die Ufer säumend wurde eine Reihen von Kastanien gepflanzt. An der Stelle des heutigen Steppengartens befand sich fortgesetzt dichter Baumbestand, der von einem Wegekreuz durchzogen war.
Erst Willy Alverdes, der seit 1950 Direktor des Großen Tiergartens war, gelang es, einen landschaftlichen Charakter in diesem Bereich zu erschaffen. Dieses war jedoch erst durch die fürchterliche Zerstörung des Tiergartens und der vollständigen Vernichtung seines Gehölzbestandes und seiner Bodenstruktur durch die Bombardierung im 2. Weltkrieg traurige Notwendigkeit geworden. Fotos zeigen, wie gerade im östlichen Tiergarten der Park zum Schlachtfeld im Jahr 1945 geworden war. Der fruchtbare Humus wurde als Folge der fehlenden Pflanzendecke davongeweht. In den Hungerjahren bis 1949 wurde auf dem gesamten Gebiet Gemüseland parzelliert. Einzig das Venusbassin blieb erhalten, war jedoch in seiner Form und seinem Baumbestand ebenfalls zerstört. Auf dieser Grundlage eines Teiches mit angrenzender, ufernaher Sanddüne, die aber natürlichen Lebensräumen im Berliner Urstromtal nicht unähnlich war, konzipierte Alverdes den Steppengarten als einen von mehreren, pflanzensoziologisch differenzierten Sondergärten im großen Tiergarten. Der Arbeitstitel hieß Duftwüste und zielte auf die Verwendung von trockenheits-liebenden Arten auf der west-exponierten Anhöhe mit sandigem Substrat bis hin zu Stauden des Uferrandes.
Das Venusbassin wurde nicht zugeschüttet, wie es noch in den ersten Entwürfen für die Wiederbepflanzung des Großen Tiergartens in den Jahren 1949/50 vorgesehen war, sondern lebte unter dem Namen Goldfischteich weiter. Alverdes erneuerte die Uferränder in organisch geformter Linienführung und schuf somit einen neuartigen Charakter einer gärtnerischen Anlage mit naturhaftem Erscheinungsbild und einem breiten Artenspektrum vom Waldrand über Ufersäume bis hin zum Trockenrasen. Die Entwurfs- und Ausführungsplanung datiert auf das Jahr 1952, die Herstellung der Anlage mit einem neuen umlaufenden Weg und einer Schutzhütte aus Kalkstein mit zugehöriger Terrasse erfolgte zwischen Januar und Mai 1953 in zwei Bauabschnitten.
Die Rekonstruktion des Goldfischteiches zum Venusbassin in den Jahren 2008/2009 in der Form von 1945 führte zum Verlust der weichen Uferränder und stellt nun einen Einschnitt in das ursprünglich zusammenhängende Erscheinungsbild dar. Jedoch wurde der Wert des Staudengartens und dessen Zeugniswert für die Leistungen und Formensprache der Wiederaufbauzeit gewürdigt und die Anlage restauriert. Sie ist in ihrer Ausdehnung und dem Inventar überwiegend erhalten. Die jahrelang nicht mehr gepflegte Staudenpflanzung wurde durch das Büro Neumann/Gusenburger erneuert, jedoch mit reduzierter Sortenauswahl, die nicht dem ursprünglichen Bild entsprach. Die Vegetationsfläche war schon wenige Jahre später in schlechtem Zustand. Daher nahmen wir uns als Arbeitsgruppe im Jahr 2011 dem Garten an. (Dipl.-Ing. Bernd Krüger)
Willy Alverdes
Willy (Wilhelm) Alverdes stammte aus Thüringen. Er wurde 1896 in Bad Frankenhausen am Kyffhäuser als Sohn einer Blumenbinderin und eines Gärtnereibesitzers geboren. Er begann im Alter von 16 Jahren eine Lehre in der elterlichen Gärtnerei. Nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg absolvierte er 1919 bis 1921 Lehr- und Wanderjahre, die ihn u.a. zur Gärtnerei Arends in Ronsdorf und in die Baumschule Späth in Berlin führten. Anschließend begann er ein Studium der Gartenkunst an der höheren Gärtnerlehranstalt in Dahlem, das er 1923 erfolgreich abschloss. 1926 folgte die Prüfung zum Diplom-Gartenbauinspektor. Von 1924 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges arbeitete Alverdes für die Gartenbaufirma Richard W. Köhler in Berlin, wo er hauptsächlich für die Planung und Ausführung von Privatgärten zuständig war.
Nach dem Zweiten Weltkrieges kehrte Alverdes 1950 nach Berlin zurück, um als Leiter des Tiergartens berufen zu werden. Er war zuständig für die Wiederherstellung des zerstörten Tiergartens. Auf ihn gehen viele Spielplätze, die Rhododendronhaine und der Englische Garten zurück. 1954 wurde die Tiergartenverwaltung dem gleichnamigen Bezirk zugeordnet. Seitdem war Alverdes auch für andere Grünanlagen zuständig – zum Beispiel die Anlagen um die Kongresshalle, die öffentlichen Grünanlagen im Hansaviertel, den Ottopark und Kleinen Tiergarten in Moabit, den Fritz-Schloss-Park und die Ufergrünzüge an der Spree. Am 30. Juni 1961 trat Willy Alverdes in den Ruhestand. Er starb am 28. März 1980 im Alter von 84 Jahren.
(Katrin Lesser-Sayrac: Wilhelm Alverdes – sein Werk als Gartenarchitekt und seine Verdienste für den Großen Tiergarten in Berlin. In: Der Berliner Tiergarten - Vergangenheit und Zukunft, S. 34-62, Hrsg: Landesdenkmalamt Berlin, Beiträge zur Denkmalpflege, Heft 9, Berlin 1996.)
1990er Jahre
Erst aus den 1990er Jahren liegen uns durch die Staudengärtnerin Almut Spatzker wieder konkete Informationen zum Steppengarten vor.
Auch Anfang der 90er Jahre waren der Steppengarten und der Goldfischteich in einem räumlichen und gestalterischen Zusammenhang zu betrachten.
Man sieht auf Bildern aus dieser Zeit, dass die Fläche des Steppengartens eher niedrig bepflanzt war und den Charakter eines Heidegartens angenommen hatte. Große Staudengruppen brachten eindrucksvolle Farbflecken. Nach Ausssagen von Frau Spatzker war der Boden mager. Aufgrund der sanften Höhenmodellierung und unterschiedlichen Besonnungen in den Randbereichen konnten aber auch Pflanzen mit etwas mehr Wasser- und Nährstoffbedarf angesiedelt werden.