Gesteigertes Mohnrot
Frühlingsrundgang im Steppengarten mit Gabriele Holst, Astrid Kaminski, Steffi Kieback und Claudia Oelmeier am 6.4.2024, einem lauen, leicht bedeckten Tag.
Astrid: Was sind für Euch hier im Steppengarten die ersten Frühlingsanzeichen?
Steffi: Der Klassiker, die Schneeglöckchen. Sie wachsen außerhalb des Steppengartens im Wald unter den Buchen und Eichen und wir haben sie angepflanzt, damit sie sozusagen rüberschwappen. Dann geht es weiter mit Blausternchen.
Gabi: Eine starke Erfahrung ist für mich das ganz zarte, helle Grün vor grau-blauem Himmel. Und der Geruch nach Erde, der durch die Feuchtigkeit kommt.
Steffi: Was wir jetzt sehen, mit all den Narzissen, das ist aber kein Vorfrühling mehr, sondern bereits Vollfrühling.
Claudia: Vorfrühling und Vollfrühling, sind das feste Begriffe?
Steffi: Ja, ein klares Zeichen für den Vollfrühling ist die Fliederblüte. Das ist nicht meine Interpretation, sondern steht so im phänologischen Kalender des deutschen Wetterdienstes. Dort werden Blütezeiten dokumentiert, sodass sich nachvollziehen lässt, dass sich zum Beispiel die Apfelblüte immer weiter nach vorne verschoben hat in den letzten Jahren. Solche Informationen werden unter anderem durch fleißige Menschen eingespeist, die Beobachtungen machen und sie dem Wetterdienst melden.
Gabi: Die Daten werden dann zusammengefasst und pro Region ausgewertet, sodass der Frühlings- oder Sommeranfang einer Region auf dem phänologischen Kalender nicht unbedingt mit dem 21. März oder 21. Juni zusammenfallen muss.
Astrid: Wie ist das Timing hier im Steppengarten?
Gabi: Relativ früh. Die Muscari, die Traubenhyazinthen, waren recht vorwitzig.
Astrid: Die Christrosen sind schon verblüht, aber sie haben jetzt so schöne hellgrüne Blätter.
Steffi: Ja, wenn über den Jahreswechsel die neuen Blüten erscheinen, werden die alten, ollen Blätter von den Gärtner:innen meist abgeschnitten. Dann sind die Blüten besser zu sehen und alles wirkt neu und frisch. In der Natur macht das natürlich niemand. Nach der Blüte werden dann neue Blätter gebildet, die alten sinken nach unten und werden Kompost.
Gabi: Die Christrosen haben sich sehr schön ausgesät!
Steffi: Wir haben hier verschiedene Sorten. Die sogenannte stinkende Nieswurz, die auch in der Natur vorkommt, und die Orientalis-Hybriden, die in verschiedenen Farben gezüchtet wurden. Aber die wir jetzt angucken, ist die stinkende Nieswurz.
Astrid: Warum heißt sie eigentlich so, sie stinkt doch gar nicht?
Steffi: Doch, die Wurzel stinkt. Darum wurde sie auch als Niespulver verwendet. In einem anderen Garten mussten wir sie einmal auslichten, weil sie sich sogar zu stark verbreitet hatte. Mit der Zeit merkte ich, wie die Lunge rau wurde und zuging. Ich hustete die ganze Zeit, hatte Augentränen und Kopfschmerzen. Die Wirkstoffe haben es also in sich.
Claudia: Oh, aufpassen, eine Weinbergschnecke.
Astrid: Stimmt es eigentlich, dass nur die nackten Schnecken alles wegfressen und die mit Häuschen «ungefährlich» sind?
Gabi: Stimmt. Die mit Häuschen helfen sogar ein wenig beim Saubermachen. - Oh, guck mal da, die blauen Blütenstände!
Claudia: Wie schön mit den weißen Narzissen!
Gabi: Außer: …. die Narzissenlöcher… Wir müssen das kartieren, um im Herbst nachzupflanzen.
Astrid: Die Blauen, das sind Gräser, die jetzt blühen? Und das habt Ihr nicht erwartet?
Gabi: Ja, Sesleria sadleriana, ungarisches Blaugras. Nein, ich habe das nicht erwartet.
Steffi: Das war letztes Jahr aber auch so um diese Zeit.
Gabi: Ich lasse mich eben gern überraschen!
Astrid: Sprießen die Pfingstrosen auch schon?
Gabi: Eine sehr kleine Sorte, knallrot, die Netzblatt-Pfingstrose, Paeonia tenuifolia. Nur wo?
Wir gehen auf die Suche nach ersten Anzeichen der Pfingstrose, vorbei an Blättern von Prärielilien (Camassia) sowie den ersten Blättern der auch Lilienschweif (Eremurus) genannten cremefarbenen Steppenkerze, die im Frühsommer blühen wird. Gabi, Claudia und Steffi kämmen unterwegs das Federgras. In Sichtweite breitet sich ein kleiner Teppich Omphalodes vor uns aus, Gedenkemein, dessen Blüten dem Vergissmeinnicht stark ähneln, aber dunkler und etwas größer sind.
Astrid: Wie ist es mit den verschiedenen Gräsersorten? Ihr kämmt sie. Schneidet Ihr sie auch ab?
Steffi: Ja, die meisten schneiden wir im Laufe des Jahres zurück. Das Panicum virgatum, die Rutenhirse, treibt allerdings erst sehr spät, im Mai aus, daher haben wir noch ein klein wenig Zeit.
Astrid: Was passiert, wenn man nicht schneidet?
Gabi: Nichts. Es ist vor allem eine optische Frage. Das alte Gras könnte ein klein wenig faulen, aber die Gefahr ist gering.
Steffi: In der nordamerikanischen Prärie ist eher das Gegenteil der Fall: Das trockene Gras kann für Präriebrände sorgen. Das passiert aufgrund von Blitzeinschlägen. Die Brände gehören zum Ökosystem der Prärie. Die Asche sorgt für Düngung und die Pflanzen breiten sich wieder aus.
Astrid: Gibt es hier auch Pflanzen, die man auf keinen Fall abschneiden darf?
Gabi und Steffi: Das ist nicht so pauschal zu beantworten. Das Stipa (Federgras) kämmen wir zum Beispiel nur, das heißt, die abgestorbenen Halme werden sanft per Hand aus den Gräserhorsten sanft gezogen. Auch gibt es Gehölze wie die Tamariske, die man weniger gut als andere abschneiden kann. Bei Blumen mit Zwiebeln ist es auch sehr wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Man sollte sie nicht direkt nach der Blüte abschneiden, sondern erst wenn die Blätter verwelkt sind. Die Kraft aus den Blättern wird ansonsten nicht wieder in die Zwiebeln zurückgezogen.
Astrid: Gibt es Pflanzen, bei denen es ein Fehler wäre, sie nicht abzuschneiden?
Gabi: Eigentlich nicht. Auch Rosen muss man eigentlich nicht zurückschneiden. Es ist eine Frage des Bildes, was man haben möchte. Untere Triebe von Gehölzen nehmen wir zurück, wenn die Pflanzen darunter einerseits zu stark bedrängt werden und andererseits, wenn die Gehölze zu «blickdicht» werden. Willy Alverdes hatte die Pflanzung so angelegt, dass die Besucher:innen über den Steppengarten weiter in den Tiergarten blicken konnten.
Gabi zieht unterwegs Landreitgras heraus.
Gabi: Das Landreitgras wächst mit seinen langen Wurzeln unter dem Boden und verflicht sich da zu einem Teppich, der alles andere platt macht.
Astrid: Löwenzahn zieht ihr auch ab und zu raus. Obwohl er ja weder ein Schädling ist noch giftig.
Steffi: Ja, das ist meine spießige Seite. Er passt hier nicht. Er zeigt uns aber interessanterweise, dass der Boden sehr nährstoffreich ist – was dem Konzept des Steppengartens eigentlich widerspricht.
Astrid: Er ist ein Indikator für nährstoffreichen Boden?
Steffi: Ja, Stichwort fette Kuhweide.
Astrid: Apropos Kuhweide: Unter der Ölweide scheint auch gerade das Grün überzuquillen.
Gabi: Das ist eine relativ neue Entwicklung. An diesem Ort mussten wir viel ausprobieren, bevor wir ein Gefühl dafür entwickeln konnten.
Steffi: Das ist ein recht schattiges Plätzchen, trockener Schatten, wo wir viel Geranium phaeum, gefleckten Storchenschnabel, also die mit Flecken auf den Blättern, gepflanzt haben. Daneben wächst Katzenminze und etwas weiter Kalimeris, die Schönaster.
Astrid: Ist Katzenminze nicht eher etwas für die Sonne?
Steffi: Ja, eigentlich hat sie gerne pralle Sonne, aber hier fühlt sie sich auch erstaunlich wohl. Wir haben sie an diese Stelle gepflanzt, weil ihre Blattfarbe das Silber der Elaeagnus, der Ölweide, spiegelt. Zudem stehen hier noch Iris, Schwertlinien, deren Blätterfarbe gräuliche und blaue Nuancen hat, was ebenfalls farblich gut harmoniert.
Vorbei an der Schachbrettblume (das Muster ist vor allem im Innern der Blüte), balancieren wir, um keine keimenden Pflanzen platt zu treten, in den vorderen Teil des Gartens. Auf dem Weg wird der Wiesensalbei gemustert, beziehungsweise ausgemustert.
Gabi: Der wird zu fett hier.
Astrid: Wie zu fett?
Gabi: Der Boden ist zu nahrhaft für ihn. Das sorgt für zu große, etwas latschige Blätter – nicht so, wie man sich Salbei vorstellt. Wir wurden, als er überhandnahm, schon gefragt, ob wir Salat anbauen. Das ist, wie so manches, immer noch eine Folge der Neuanlage des Steppengartens. Er wurde ja eigentlich spezifisch für einen Sandboden konzipiert. Dann hatte man jedoch über den Sand eine Lage nährstoffreiche Erde geschüttet, während für die Bepflanzung, angelehnt ans Ursprungskonzept, Pflanzen für einen mageren Standort ausgesucht wurden. Das beißt sich natürlich. An sich ist dieser Salbei mit seinen himmelblauen Blumen aber wunderschön. Und eine ausgezeichnete Bienenpflanze.
Auch die Rosen werden kritisch beurteilt.
Gabi: Die Wildrosen, Rosa pimpinellifolia, Rosa canina, müssen gut im Zaum gehalten werden, was schwierig ist, weil sie starke unterirdische Ausläufer bilden. Willy Alverdes hatte bei der Anlage des Gartens 1953 keine Wildrosen, sondern Zuchtrosen, die Wildrosencharkter haben und wunderbar duften, gepflanzt. Sie haben keine invasiven Tendenzen. Leider gibt es diese Sorten heute gar nicht mehr. Nicht weil sie ausgestorben wären – Rosen sind absolute Klimagewinner, sie kommen mit der aktuellen Situation gut zurecht – sondern weil sie aus irgendeinem Grund züchterisch nicht mehr so interessant sind. Das Besondere an Alverdes´ Garten war, dass er nicht nur eine Steppe nachbilden sondern gärtnerisch als Steppengarten überhöhen wollte.
Astrid: Hier, das mit den kleinen dillartigen Blättern, könnte das die Paeonia tenuifolia sein?
Gabi und Claudia: Tatsächlich, das ist sie. So versteckt steht sie sicher. Als die kleine Netzblatt-Paeonie zu gut vom Weg her sichtbar war, sind nämlich Menschenmassen zum Fotomachen regelrecht über sie hergefallen und haben dabei andere Pflanzen platt gewalzt.
Astrid: Fotos wegen der Farbe?
Claudia: Ja, sie leuchtet wirklich fast surreal, eine Art gesteigertes Mohnrot.
Mit diesem Fund beenden wir den Rund- und Zupfgang. Gabi und Steffi fragen sich, wie viel botanische Vokabeln sie eigentlich können. Zu wenige, finden sie. Gabis Messlatte ist 5000. Das entspricht dem durchschnittlichen, aktiv gebrauchten Wortschatz von Muttersprachlern in einer Sprache.
HIntergrundbild: © blaetterrausch.de | Christina Straße